Ertan (35) kommt nach 10 Jahren frei - gebrochen und gezeichnet von der Zeit hinter Gittern. Der 15-jährige Mikail hängt mit seinen Jungs auf der Straße ab und träumt von einem Leben als Rapper.

Ertan sucht Mikail. Mikail kennt Ertan nicht. Aber bald müssen die beiden der harten Realität ins Auge blicken.

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Welches Filmzitat ist im Trailer zu hören?

Umut Dag

Regisseur & Autor (*1982)

„Film ist wie ein Pfeil, der direkt, ohne den Umweg über den Intellekt, ins Herz gehen muss!“

Umut wuchs als ältestes Kind einer kurdischen Einwandererfamilie in Wien Brigittenau auf. Nach der Vienna Business School hat er zunächst Internationale Entwicklung, Religionswissenschaften und Pädagogik begonnen zu studieren. Mit der Zeit konzentrierte er sich immer mehr auf seine Kurzfilme und arbeitete schließlich zeitgleich in der österreichischen Spiel- und Werbefilmlandschaft, wo er bei vielen Filmen wie zB „Die Fälscher“, „Ein Augenblick Freiheit“, „Der schwarze Löwe“, „Freundschaft“ etc... und über 50 Werbefilmen mitarbeitete. Seit 2006 studiert er Regie auf der Filmakademie Wien bei Peter Patzak und Michael Haneke. 2011 gewann sein Film „Papa“ den First Steps Award für den besten mittellangen Film.

"Es liegt ein abgrundtiefer Unterschied zwischen jenen, die ihr Talent benutzen, um sich selbst zu verwirklichen, und jenen, für die alles davon abhängt. Die Kunst ist dann das Leben, aber nicht in dem Sinn, dass sie alles um einen herum ergreift, sondern so, dass nur die Kunst einem eine Zukunft gibt. Ein Plan B existiert nicht, es gibt keinerlei Alternative, auf die man zurückgreifen könnte." (Roberto Saviano über Lionell Messi)

Filmographie:

Risse im Beton, Kinofilm-Drama 2013 von Autorin Petra Ladinigg, WEGA-Film (Regie, Co- Story)
Weltpremiere Berlinale 2012, Sektion Panorama

Kuma, Kinofilm, Fertigstellung 2012 mit Co-Autorin Petra Ladinigg, Drehbuchentwicklungsförderung ÖFI Dez. 2008, Projektentwicklungsförderung Dez. 2009, Herstellungsförderung ÖFI&ORF 2010, WEGA-Film (Regie, Co-Autor)
Weltpremiere Berlinale 2012, Sektion Panorama

PAPA, A 2011, 40min, DVCProHD, Farbe, Kurzspielfilm, (Idee, Regie)
Bester öster. Kurzfilm 2011 DIAGONALE 2011, Wettbewerb Max-Ophüls Preis 2011, First Steps Award 2011

101010 – Ich bin Wien, von SPÖ-Wien, A 2010, 4min, HD, Musikvideo (Regie)

R, von AQIL, A 2010, 5min, DVC-Pro HD, Farbe, Musikvideo (Buch, Regie, Produktion)

Kick Off, von SUA KAAN, A 2010, 3:40, HD, Musikvideo-Trailer für gleichnamigen Kinodokumentarfilm von Hüseyin Tabak, (Buch, Regie)

Wer!, von SUA KAAN, A 2010, 3:30min, HD, Musikvideo, (Buch, Regie)

Aus eigener Kraft, A 2009, 45min, Digital Betacam, Farbe, Dokumentarfilm (Buch & Regie) Publikumspreis beim 14. Internationalen Filmfestival der Filmakademie Wien.

Radioaktiv, von SUA KAAN, A 2009, 4min, DVC-Pro HD, Musikvideo (Buch, Regie)

Wann, von Rudolfsheim Fünfhaus, A 2009, 4min, 16mm, Musikvidio (Buch, Regie)

Selam, von Mevlut Khan, A 2008, 4min, DVC-Pro HD, Farbe, Musikvideo (Buch, Regie, Prod.) Golden UTV Award 2009 und UTV Audience Award 2009 für das beste Musikvideo

Teilnahme am Babylon Feature Film Development Workshop Rotterdam Film Festival 2008

Todesnachrichten, A 2008, 23min, HDCAM, Farbe, Kurzspielfilm (Regie & Ko-Produktion)
Vienna Independent Shortfilm Festival - A 2008 (Publikumspreis Österreich Panorama) Diagonale, Graz - A 2008 (Nationale Premiere)

Arthouse, A 2008, 11min, 16mm, s/w, Kurzspielfilm (Buch, Regie & Schnitt)

Ein Märchen aus 1001 Nacht, A 2007, 5min, 16mm, Kurzspielfilm (Buch, Regie & Schnitt)

Schatten, A 2007, 11min, 16mm, Dokumentarfilm (Buch, Regie, Kamera & Schnitt)

3. Türkenbelagerung, A 2006, 25min, MiniDV (Buch & Regie)
7. Folge der Sitcom Fernsehsender Okto TV

Hänsel und Gretel – Ein Heimatfilm der anderen Art, A 2005, 4min, MiniDV, Kurzspielfilm (Regie) Festival Berlin36 – D 2005

Ende der Kindheit, A 2005, 7min, MiniDV, Kurzspielfilm (Buch, Regie, Kamera & Schnitt) 9. Wiener Video&Filmtagen – A 2005

Interview mit Umut Dag:

Der Titel des Films weist auf ein sehr hartes Material hin. Risse im Beton erzählt von einem sehr unerbittlichen Milieu. War die Härte ein tonangebendes Motiv in dieser Geschichte? Was hat Sie in diese Welt hineingezogen?

Umut Dag: Die Härte war auf jeden Fall eines der tonangebenden Elemente, eines der Kernpunkte, die mich in diesem Milieu interessiert hat. Ich wollte hinter die Fassaden dieser Menschen, die wir aus den Medien zu kennen glauben, schauen und mich nicht mit einer oberflächlichen, klischeehaften Härte abspeisen lassen, sondern etwas erzählen, wo ich sie ein bisschen aufbrechen kann. Durch meine Musikvideos und einen Dokumentarfilm kannte ich das Milieu bereits.

Ein Milieu der Rap-Musik oder der Kleinkriminalität?

Umut Dag: Da ist oft keine klare Trennlinie zu ziehen, die Grenzen fließen da ineinander. Im kleinkriminellen Milieu hört man sehr viel deutsch- und englischsprachigen Rap, in dem immer wieder die Notwendigkeit nach dem Kriminellen als einzigem Ausweg aus einem hoffnungslosen Leben behauptet wird. Darin lag einer meiner Anknüpfungspunkte. Ich höre selbst Hip Hop und kenne Menschen aus meiner Schulzeit, die sehr schnell ihre Hoffnungen aufgaben, weil sie mit nicht einmal 20 weder einen Schulabschluss noch Lust auf einen solchen hatten. Es hat mich fassungslos gemacht, wie man sich selbst so aufgeben kann, so sehr an Wertvorstellungen festhalten kann und da nicht rauskommt. In diesem Milieu geht es darum, schnell an Geld zu kommen, ohne sich unterzuordnen. Unterordnung ist weder in der Schule noch in der Arbeit denkbar, deshalb sind sie alle in der Zwickmühle. Sie finden sich in einem Alltag wieder, in dem Kriminalität nicht hinterfragt wird, weil es Teil des täglichen Lebens ist. Diese Gedanken und auch der Wunsch, noch einmal mit Murathan Muslu, der schon in Papa die Hauptrolle gespielt hat, zusammenzuarbeiten, führten Petra Ladinigg, die Drehbuchautorin, und mich dazu, zunächst einmal sehr kompliziert und über viele Ecken diese Geschichte zu entwickeln. Es könnte nun auch als ein inoffizielles Sequel meines Kurzfilms Papa betrachtet werden, was mich nicht unglücklich macht, weil damit ein Kurzfilm, der oft nicht die gebührende Beachtung erhält, einen Abschluss bekommt.

Ihr Spielfilmdebüt Kuma stellt eine Mutterfigur ins Zentrum, um die sich ein komplexes Familiengebilde flicht; in Risse im Beton wird eine Vater/Sohn-Beziehung erzählt, in der nichts verflochten ist, im Gegenteil, wo man es mit lauter Einzelgängern zu tun hat, die von keinem Netz gehalten werden. Gab es ein Bemühen, etwas grundlegend anderes zu erzählen, sich vom ersten Film abzugrenzen. Gibt es umgekehrt Dinge, die Sie konsequent weitergeführt haben?

Umut Dag: Ich weiß nicht, ob ich irgendetwas weiterführen wollte. Kuma war für mich eine extrem bereichernde und prägende Erfahrung in jeglicher Hinsicht. Ich bin froh, dass Kuma international so erfolgreich lief, dass ich die Möglichkeit bekam, einen zweiten Film zu drehen. Ich habe diese gebotenen Freiheiten, den Film diesmal nach meinen Vorstellungen zu realisieren, auch genutzt. Ich vertrete den Standpunkt, dass jeder Film seine besondere Handschrift braucht, die durch Drehbuch und Inhalt vorgegeben werden. Die Härte des Stoffes und die Zerbrechlichkeit am Ende haben bedingt, dass der Film so gemacht wurde, wie er nun aussieht. Die Arbeitsweise war sehr unkonventionell, nicht zuletzt deshalb, da wir sehr viele Laiendarsteller hatten. Meine Prämisse war, dass wir uns den Darstellern unterordnen, um von ihnen rauszukriegen, was für einen Film notwendig ist, der vielleicht Dinge erzählt, die wir bisher nur aus Vorurteilen und Klischees kennen. Um das zu brechen, muss man es möglicherweise so kompromisslos real erzählen, dass es nicht mehr hinterfragt wird. Der einzige Schlüssel dafür waren die Darsteller. Daher haben wir den ganzen Dreh auf den Kopf gestellt und nicht klassisch in Schuss und Gegenschuss geleuchtet, sondern mit einer Open-Set-Ausleuchtung immer versucht, möglichst spontan agieren zu können. Wir sahen in dieser Drehweise den Schlüssel dafür, überhaupt auf diese Darsteller eingehen zu können. Sie können nicht wie professionelle Schauspieler arbeiten. Vielleicht braucht es zehn Takes und mehr oder vielleicht sind sie gar nicht gut, wenn man die Kamera direkt auf sie hält. Vielleicht sind sie aber genau in dem Moment gut, wenn man sich mit der Kamera von ihnen abwendet und dann muss man ganz spontan reagieren können und sich gleich wieder umdrehen. Wenn wir da klassisch geleuchtet und nach einer halben Stunde wieder umgeleuchtet hätten, wären wir in eine Sackgasse geraten, aus der wir nur mit einer schlechten schauspielerischen Leistung herausgekommen wären, die den Film zerstört hätte.

Wie haben Sie Ihre Darsteller, die offensichtlich die tragende Säule dieser Erzählung waren, gefunden?

Umut Dag: Wir haben schon nach einer ersten, ganz rohen Drehbuchfassung zu casten begonnen, weil klar war, dass es eine lange Suche sein würde. Eva Roth und Alev Irmak waren sehr früh eingebunden und wir haben ein halbes Jahr in Wien hunderte von Kids gecastet. Ich wollte Jugendliche finden, die wissen, wovon die Rede ist. Die Dialoge waren vorgeschrieben, aber ich wollte, dass die Sätze so aus ihnen rauskommen, wie sie sie normal sagen würden. Wir suchten unter der 14-16-Jährigen, wobei sich herausstellte, dass tendenziell die 14-Jährigen noch etwas zu jung und die 16-Jährigen etwas zu alt waren. Das hat alles nochmals eingeschränkt und nicht gerade leichter gemacht. Ich war froh, am Ende Jugendliche gefunden zu haben, die in ihrem Spiel und in ihrer Wahrhaftigkeit den Film zum Leben erweckt haben und denen ich nicht viel erklären musste. Ich habe von ihnen gelernt.

Woher stammen sie?

Umut Dag: Alechan, der zweite Hauptdarsteller, ist Tschetschene. Einer der anderen kommt ebenfalls aus Tschetschenien und die anderen aus Kroatien. Wir haben nicht nach bestimmten Ländern oder Akzenten gesucht. Es war mir egal, woher sie kommen. Es wäre mir auch lieb gewesen, einen Österreicher mit einem ausgeprägten Wiener Akzent zu haben. Wichtig war es, den Hauptdarsteller zu finden, um den herum der Rest gecastet werden konnte. Bemerkenswert war, dass sich viele Menschen aus zweiter und dritter Generation von Einwanderern gemeldet haben. Das hat mich sehr überrascht. Es gab übrigens auch Leute, die den Namen des Regisseurs lasen und sagten, da gehe ich nicht hin. Durch die Besetzung mit Kindern von Einwanderern bekommt der Film natürlich wieder einen Touch von zweiter/dritter Generation, von „Film mit Menschen mit Migrationshintergrund“. Das war nicht beabsichtigt, aber ich füge mich dem, von dem ich glaube, dass es das Beste für den Film ist. In dem Fall war es der Hauptdarsteller. Alechan war die bestmögliche Besetzung, er hat selbst eine ähnliche Geschichte erlebt. Er ist ganz einfach der Mensch, für den ich diesen Film gemacht habe. Jugendliche wie er sind der Grund, weshalb es mir so wichtig war, diesen Film zu erzählen. Ich spüre da selbst eine Ohnmacht, nichts tun zu können, diese Kids wachzurütteln. Es ist mir unverständlich, wie man so unrealistisch denken kann, so blauäugig durch die Welt gehen und doch das Gefühl haben kann, alles besser zu wissen. Das eigene Leben wegschmeißen und doch eine Härte an den Tag zu legen, weil das Milieu einem es so vorgibt. Warum muss man in einem Käfig aus Wertvorstellungen so gefangen sein? Das nimmt mich wirklich mit. Das hat mich schon vor Jahren so betroffen gemacht, als ich noch an der Filmakademie einen Dokumentarfilm in diesem Milieu gedreht hatte. Dieser Junge personifiziert, was dieser Film sein soll.

Die Dialoge waren vorgegeben, wurden aber dennoch von den Darstellern präzisiert. Hat dabei auch die Rhythmik der Rap Musik die Dialogsprache beeinflusst?

Umut Dag: Diese knappe und verkürzte Art zu reden, ist einfach Jugendsprache. Es gibt ja nicht eine homogene Jugendsprache, aber es gibt die Jugendsprache aus einem gewissen Milieu und die reden so. Die Szenen waren klar und deutlich festgeschrieben. Wir hatten eine gewisse Vorstellung von dem, wie das ablaufen sollte. Dann haben wir die Dialoge in langen und intensiven Proben erarbeitet und sind es Satz für Satz durchgegangen, haben es geprobt, gespielt und dann wieder aufgeschrieben und adaptiert. Es war ein langwieriger Prozess, der sich bis in den Dreh gezogen hat. Die Jungs etwas auswendig lernen lassen, das nicht sie sind, wäre lächerlich gewesen und hätte den Film unanschaubar gemacht. Die Jungs waren am Anfang gar nicht mutig genug, sich voll und ganz einzubringen. Oft zögerten sie etwas zu sagen, weil sie aus einem Milieu kommen, wo ihnen ständig verständlich gemacht wird, dass ihr Tun falsch ist. Plötzlich waren sie mit Leuten konfrontiert, die sagen „Ihr könnt nichts falsch machen.“ Das war für sie ein Umgewöhnungsprozess und eine neue Erfahrung.

War Risse im Beton auch für sie in der Schauspielerarbeit eine grundlegend neue Erfahrung?

Umut Dag: Nein. Als Regisseur muss man mit jedem Menschen anders umgehen. Entsprechend bin ich mit den Jungs anders umgegangen als mit anderen Schauspielern. Ich war froh, bei den Proben, die wir an den Wochenenden machten, auch immer unseren Coach Alev Irmak dabei zu haben, die mit ihnen sehr streng war. Das war sehr wichtig, denn das waren Jungs, wenn du denen den kleinen Finger gibst, ist die Hand weg. Mit ihnen musste man anders umgehen. Das war auch am Set nicht einfach, wir haben sehr stark auf Disziplin geachtet, weil wir wussten, dass sie Freiheiten ausnützen würden, was für die Dreharbeiten fatale Auswirkungen gehabt hätte. Es war noch immer so, dass Alev und ich ihnen einbläuten, den Text zu lernen und sie dennoch unvorbereitet aufs Set kamen. Entsprechend viele Takes brauchte es dann, bis wir dort waren, wo wir hinwollten. Das war teilweise mühsam, aber mit dem Anspruch, einen Film zu machen, der so wahrhaftig wie möglich werden sollte, einfach der Preis, den wir zahlen mussten. Die Alternative wäre ein Film, den ich gleich gar nicht zu machen brauche, weil er zum Fremdschämen ist.

Murathan Muslu ist inzwischen zu Ihrem Darsteller geworden. Was ist für Sie als Regisseur das Faszinierende an ihm?

Umut Dag: Für mich ist er der beste männliche Darsteller seiner Generation. Er hat etwas tief Vergrabenes, Instinktives und ich weiß, er könnte alles spielen. Mein Glück ist, dass er in Fernsehfilmen sehr viel als Bösewicht eingesetzt wird, aber ich ihn für andere Rollen einsetzen werde und will. Kein anderer hätte ihn für die Rolle dieses Vaters in Risse im Beton besetzt. Denn von seinem Auftreten und seinem Charisma eignet er sich sehr für die Rolle des Bösen. Ich habe zB für Kuma lange gecastet, auch in der Türkei, aber die Tiefe und das Verborgene habe ich nur bei ihm gefunden. Michael Haneke hat einmal gesagt – was ihn an guten Schauspielern grundsätzlich fasziniere, sei das Geheimnisvolle, das sich in ihnen verbirgt. Er hat eine sehr frühe Rohschnittfassung gesehen und war von Murathan sehr angetan und hat ihn mit Marlon Brando oder Javier Bardem verglichen. Ich bin froh, dass ich ihn entdecken und fördern durfte. Ich hoffe, dass dieser Film in seiner Karriere ein nächster Schritt sein wird.

Im Film wurde auch ein Rap-Konzert mitgefilmt. Warum fiel ihre Wahl auf den Rapper Azad?

Umut Dag: Der Junge verfolgte das Ziel, Azad ein Mixtape zu übergeben und das musste für ihn der Höhepunkt sein. Mir war es wichtig, dass es sich um einen Rapper handelt, der kein Pop-Star war, wie z.B. Bushido oder Sido. Sie wären für unseren Protagonisten zwar in ihrem materiellen Erfolg ein Vorbild, aber nicht in ihrer Wahrhaftigkeit. Da unser Junge so real wie möglich war, musste es ein Rapper sein, der das verkörpert. Azad hat schon Mitte/Ende der Neunziger Jahre begonnen, eine spezielle Art von Rap-Musik zu machen. Er hat etwas Raueres, weniger Spaßiges, in die Szene gebracht. Er hat im deutschprachigen Raum den „Straß- Rap“ miterfunden. Ich wollte einen Veteranen, der seinen Erfolg hatte und hat und dennoch nicht abgehoben ist. Ich war froh, dass die Konzertszene geklappt hat, auch wenn ich sie nie mehr so drehen würde. Wir haben das Konzert von Azad wie ein reguläres Konzert mit realen Besuchern organisiert und hatten nur eine Stunde Zeit für diese Szene.

Sie haben sich bereits bei Kuma sehr entschieden dagegen verwehrt, in die Schublade der Integrations- und Migrationsfilme gesteckt zu werden. Risse im Beton ist ein Film, der vom blanken Überleben erzählt, bei dem es auch keinerlei Wichtigkeit hat, dass der Film in Wien spielt. Er könnte auch woanders spielen.

Umut Dag: Es war mir wichtig, dass es ein universeller Film wird. Bei allem Erfolg von Kuma ging es dennoch um ein Phänomen, das kaum jemand kannte, der nicht mit jenem bestimmten kulturellen Hintergrund vertraut war. Ich wollte diesmal etwas erzählen, das keiner Erklärung bedarf. Die Geschichte sollte universeller begreifbar sein. Gleichzeitig war das Risiko des Scheiterns mit Risse im Beton größer, weil er nicht mehr den Bonus des Exotischen trug. Festivals und Verleiher wurden aufgrund seiner exotischen Note neugierig auf Kuma. Jetzt, wo ich ein universelleres, oft behandeltes Thema erzähle, muss ich mich einer breiteren Konkurrenz stellen.

Dem österreichischen Kino eilt der Ruf voraus, kein Wohlfühlkino zu sein. Risse im Beton wird diesem Image mehr als gerecht, gleichzeitig schafft er ein Universum, das man im österreichischen Kino noch nicht gesehen hat. Es ist um eine neue Welt bereichert.

Umut Dag: Jeder Film ist eine neue Welt. Natürlich gibt es Filme, die in ähnlichen Welten spielen. Wenn das eine neue Welt im österreichischen Film ist, dann ist es eigentlich traurig. Schaut man nach Deutschland oder Holland, dann ist das eine Selbstverständlichkeit. Wir hinken da zwei Generationen nach. Es gibt eine Studie in Deutschland, wonach es drei Phasen gibt, wie es SchauspielerInnen mit Migrationshintergrund gelingt, im jeweiligen Land Fuß zu fassen. Phase 1 ist Ignoriert-Werden, das dauert meist lange. In Phase 2 spielt man einen Quotenausländer, in der Regel einen Taxifahrer oder Döner-Verkäufer, in Phase 3 kommt man auch mal als Arzt oder Anwalt vor, ohne dass es hinterfragt wird. Wir stecken irgendwo zwischen Stufe 1 und 2, in anderen Ländern ist man längst in der dritten Phase. Natürlich kann ich mir jetzt die Frage stellen, ob ich der Quotenausländer bin, der versucht, das aufzuweichen. Ich versuche es jedenfalls nicht absichtlich. Vielleicht fühlen sich kommende FilmemacherInnen, die Ähnliches probieren wollen ermutigt durch mich. Nach dem Motto, wenn der es schafft, schaffe ich es auch. Ich bin froh, wenn ich für andere talentierte Kolleginnen und Kollegen eine Türe öffnen kann, aber es bleibt ein mulmiges Gefühl. Warum muss ich 2014 einer der Ersten sein? Warum war bisher keine/r da, die/der auf diese Millieus geschaut hat. Warum dauert es bei uns so viel länger, bis sich eine zweite oder dritte Generation so weit entwickelt, dass sie Berufe anstrebt, die vorher nicht denkbar waren?

Die Protagonisten in Risse in Beton werden in einem unaufhaltsamen Sog nach unten gezogen, sie begegnen unerbittlicher Härte und Hass. Die Zuschauer werden emotional an ihre Grenzen getrieben . Wie ist es Ihnen und der Autorin Petra Ladinigg gegangen, diese Radikalität durchzuziehen?

Umut Dag: Das ist eine sehr zwiespältige Sache. Sobald Petra und ich eine Geschichte entwickeln und wir uns über die Charaktere klar sind, sind wir auch Gefangene dieses Milieus. Wenn wir eine Geschichte erzählen wollen, soll sie ja keine Aneinanderreihung von dokumentarisch erzählten Szenen, sondern trotz aller Dramatik so real wie möglich sein. Es geht uns um eine runde Geschichte, die konventionell oder unkonventionell erzählt wird. Am Ende muss es eine Geschichte sein, die nicht fragmentarisch intellektuell versucht, etwas zu sein, das möglicherweise nur im Kopf des Regie-Autoren-Duos funktioniert. Wir sind daher in diesem Prozess gefangen. Die Spirale dreht sich immer weiter, es wird immer dramatischer und heftiger. Das ist die Geschichte. Das Leben ist leider kein Ponyhof. Zumindest nicht für die Menschen in unserem Film. Wenn der Bruder Ertan, der Hauptfigur, verziehen hätte, dann wäre alles gebrochen. Warum soll er seinem Bruder, der so viel Scheiße gebaut hat, verzeihen? Es war uns kein Anliegen, ein Feel-Bad-Movie zu machen. Daher auch das offene Ende, das eine Hoffnung und eine Zusammenfindung in Aussicht stellt.

In Kuma standen Frauenfiguren im Mittelpunkt. In Risse im Beton stehen sie „am Rand“. „Am Rand“ deshalb unter Anführungszeichen, weil ich es nicht wertend verstehe, sondern weil diese Differenzierung meiner Meinung nach eine Absenz von Weiblichkeit in dieser männlich bestimmten Welt beschreibt. Eine Absenz, der Männer wie Frauen zum Opfer fallen. Wie sehen Sie Ihre Frauenfiguren?

Umut Dag: In Kuma waren die Frauen in der Hauptrolle, dennoch sind sie Opfer ihrer eigenen patriarchalen Gesellschaft. Sie hatten deren Gesetze bereits so verinnerlicht, dass sie die Familie zwar nach aussen hin wie ein Matriarchat führten, die Basis dafür aber stets das Patriarchat war. Die Frauen in Kuma waren Opfer eines männerdominierenden Systems. Wie in Risse im Beton hoffentlich klar ersichtlich ist, sind sie die Leidtragenden eines Milieus und eines Systems, das von Männern bestimmt ist. Was ist das für ein Regisseur, der Frauen immer als die Opfer darstellt? Grundsätzlich sind sie es natürlich nicht. Aber in diesem Milieu, von dem wir erzählen, wo man zwei Jobs haben muss, um als Alleinerzieherin Kinder großziehen zu können, wenn man einen Kredit laufen hat und man keine Zeit hat, über das eigene Leben im gesellschaftspolitischen Kontext nachzudenken, sondern einfach nur froh ist, zu Hause zu sein und schlafen zu können, ist es so. Ertans Mutter weint, weil sie ohnmächtig ist. In Risse im Beton kommen Frauen vor, die mit allen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen, versuchen, pädagogisch etwas zu erreichen und es nicht können. Es wäre sehr anmaßend diese Menschen dafür zu Verurteilen. Unser Anspruch war es, nicht eine Welt zu entwerfen wie wir sie uns wünschen, sondern sie so zu zeigen, wie sie ist. Sonst bräuchten wir nicht in einem extrem aufwändigen Casting nach Leuten zu suchen, die wahrhaftig sind, wenn wir am Ende ein Märchen erzählen wollen.

Die Düsternis, in der die Protagonisten von Risse im Beton agieren, findet ihre unmittelbare Umsetzung in der Kameraarbeit. Sie arbeiten mit viel Dunkelheit, wenig Licht und wenn Tageslicht herrscht, dann ist es ein hartes Licht. Wie sah das Kamerakonzept aus?

Umut Dag: Ich wollte unbedingt mit Georg Geutebrück zusammenarbeiten, mit dem ich Papa gemacht hatte. Mit Georg hatte ich schnell eine gemeinsame Sprache gefunden, wir hatten filmische Beispiele, die zeigten, in welche Richtung es gehen sollte. Ich bin ein großer Fan von Un Prophète, Fish Tank oder The Wrestler. Es war klar, dass der Film eine Rauheit braucht, dazu kam aber auch das spontane Reagieren auf die Schauspieler und ich wollte nicht, dass der Film verwaschen, pseudo-dokumentarisch realistisch wirkt, sondern auch eine Farbigkeit hat, die nicht nur durch entsättigte Bilder entsteht. Das so hinzubringen, bedeutete einen Spagat. Wir haben Dinge gemacht, die ein erfahrener Kameramann wahrscheinlich nicht gemacht hätte. All diese zum Teil einander widersprechenden Ansprüche auf einen Punkt zu bringen, war ein Wahnsinn und Georg hat sich sieben Wochen lang diesem Wahnsinn hingegeben und die 25kg schwere Kamera auf seinen Schultern getragen. Es war eine extreme Herausforderung, die die Leute am Set und in der Produktion nervös gemacht hat, weil für sie lange nicht ersichtlich war, wohin die Reise gehen würde. Erst mit den ersten Rohschnitten war dann klar, dass alles aufging – der Aufwand, den wir betrieben haben, das Konzept, das wir von der ersten Drehbuchfassung an verfolgt haben. Alles.

Regie UMUT DAĞ

Drehbuch PETRA LADINIGG
Bildgestaltung GEORG GEUTEBRÜCK
Ton SERGEY MARTYNYUK
Schnitt CLAUDIA LINZER
Musik IVA ZABKAR
Kostüm CINZIA CIOFFI
Ausstattung KATRIN HUBER GERHARD DOHR
Produktionsleitung ULRIKE LÄSSER
Herstellungsleitung MICHAEL KATZ
Produzenten MICHAEL KATZ / VEIT HEIDUSCHKA

SchauspielerInnen:

mit MURATHAN MUSLU / ALECHAN TAGAEV / MEHMET ALI SALMAN / ERDEM TURKOĞLU / MARTINA SPITZER / INES WALLNER / IVAN KRIZNJAK / SHAMIL ILISHANOV / DANIEL MIJATOVIC / MAGDALENA PAWLUS / WALY HATAMI / ALEKSANDRA MARKOVIC / AYDEMIR GÜNDÜZ / ELIF DAĞ